01a - Die Sturmflut

„Eduard! Schläfst du noch?“ ruft Peter so laut er kann. Es dauert eine Weile, dann antwortet Eduard verschlafen: „Ja, was ist denn?“ Peter ruft: „Eben war Emma, die Möwe, da und hat erzählt, dass ein schlimmes Unwetter kommt!“ „Was heißt das?“ fragt Eduard. „Sie hat gesagt, wenn der Sturm von Süd-Westen kommt, gibt es dann viel Wasser und hohe Wellen. Sie sagt, das nennt man Sturmflut!“

Beide stecken den Kopf aus ihrer Wohnungstür und sehen sich um. Es ist gerade Ebbe und nicht viel zu sehen. Nur, dass da hinten am Horizont, wo der Himmel auf die Erde stößt, ein schwarzer Streifen zu sehen ist. Emma kommt herangeflogen und setzt sich auf den Sand. „Oha, da braut sich was zusammen!“ sagt sie, „das dahinten ist der vordere Rand der Sturmwolken. Die werden mit der Flut schnell zu uns kommen und dann gibt es Rabatz! Versteckt euch bloß tief im Sand, damit euch nichts passiert. Frühstückt vorher schnell, man weiß nicht, wie lange der Sturm dauert.“ Damit schwingt sie sich in die Luft und fliegt hinüber zu den Amrumer Dünen.

Schnell schlürfen Eduard und Peter noch ein, was sie an Schlamm erreichen können und merken, dass das Wasser der Flut schnell auf sie zukommt. Sie sehen auch, dass der schwarze Streifen am Himmel schon ganz nah ist und dass ganz dicke Wolken dahinter den Himmel verdunkeln.

„Schnell, zurück in die Wohnung!“ ruft Eduard und beide schlüpfen in ihre Wohnröhren. Unten buddeln sie schnell tiefe Löcher und kriechen hinunter. Hinter sich verschließen sie die Ausgänge mit Sand.

Es ist ganz still bis auf das leise Gluckern des Wassers oben auf der Watt-Oberfläche. Die Flut kommt immer schneller. Draußen wird es lauter. Die Wellen werden höher und höher und donnern auf den Sand. Nun hören sie auch den Wind. Erst saust er nur, aber dann wird er zum Sturm und braust und heult ganz laut.

„Eduard, ich habe Angst!“ ruft Peter. „Komm rüber zu mir, dann ist es leichter für uns beide,“ antwortet Eduard und einen Moment später krabbelt Peter zu ihm in die Wohnung. „Hoffentlich wird es nicht so schlimm,“ sagt er, „wir sind doch so klein.“ „Wir schaffen das schon, da ist viel Sand über uns!“ sagt Eduard, aber ganz wohl ist ihm nicht.

Wenn eine Welle herunter bricht, donnert und schüttelt es in der Wohnung. Das Unwetter will erst kein Ende nehmen. Aber schließlich ist das Heulen des Windes nicht mehr so laut und hört dann ganz auf. Der Sturm ist vorüber.

Vorsichtig wühlt Eduard sich nach oben. Weit hat er es nicht, denn die Strömung hat viel vom Sand weggespült. „Da haben wir gerade noch Glück gehabt!“ sagt Eduard, „das hätte ganz schön schiefgehen können.“

Eigentlich sollte jetzt Ebbe sein und das Wasser fort. Statt dessen steht es noch meterhoch über dem Boden. Bei einer Sturmflut drückt der Wind das Wasser weit auf den Strand und es dauert dann eine ganze Weile, bis es wieder abgeflossen ist.

„Geht es euch gut,“ fragt eine Stimme neben ihnen. Ida, die Scholle, liegt platt auf dem Sand. „Das war ganz schön heftig, gut, dass wir uns im Sand einbuddeln können!“ „Das kannst du wohl sagen,“ knarzt es neben ihr. Krabbel und Rappel, die beiden Taschenkrebse, wühlen sich aus dem Schlick heraus.

Das Wasser geht langsam und die Ebbe ist da. Emma kommt angeflogen: „Am Strand sieht es böse aus. Lauter Strandgut liegt in großen Haufen herum. An einer Stelle ist das Wasser über eine flache Düne gestiegen und hat dahinter einen kleinen See gebildet. Aber wir sind alle noch da und gesund. Das ist doch das Wichtigste!“

VAB 2017